So, 13. Feb 2022
The Nova Jazz & Blues Nights presents JOY DENALANE
Mit „Let Yourself Be Loved“ hat Joy Denalane ihr definitives Soul-Statement
aufgenommen. Das Album ist zu gleichen Teilen Selbstbehauptung,
Ahnenforschung und Hommage an die großen Klassiker des Genres. Ein
musikalisches Meisterwerk, auf dem Denalane souverän alle Stränge ihres
bisherigen Wirkens zusammenführt.
Am Anfang war die Idee. Und wenn alles immer so verführerisch leicht und einfach wäre, wie die besten Soul-Songs klingen, dann wäre wohl auch die Umsetzung dieser Idee nicht mehr als ein sprichwörtliches Kinderspiel gewesen: „Ich wollte ein ganz klassisches Soul-Album machen“, sagt nämlich Joy Denalane. „Stilistisch wollte ich mich in der Phase von Ende der Sechzigerjahre bis ungefähr 1973 bewegen.“
In diesem Satz liegt allerdings bereits einer der Gründe verborgen, weswegen wir zunächst einige Jahre zurückspulen müssen, wenn wir die Geschichte von „Let Yourself Be Loved“ erzählen wollen, des neuen, ganz fantastisch gewordenen Soul-Albums von Joy Denalane. Es gibt auf diesem Album die dramatisch flirrenden Arrangements, das Schwelgerische, die himmlischen Melodien, die man mit dieser Musik assoziiert. Aber ohne seine wirklich lange Vorgeschichte, ohne die Probleme auf der Suche nach dem richtigen Sound und Ausdruck, wäre es ein vollkommen anderes Album geworden. Eines ohne Leichtigkeit womöglich.
Wer das paradox findet, werfe zunächst einen Blick auf die Soul-Ära, der Joy Denalane hier ihre Inspiration verdankt. Die Jahre ab ungefähr 1968 markierten für das Genre einen entscheidenden Wendepunkt und gelten heute zu Recht als die Zeit, in der Soul sich endgültig zu einer gesellschaftspolitischen Kraft mit einiger Wirkungsmacht entwickelte und musikalisch über sich selbst hinauswuchs. Inspiriert vom Vorbild der
Beatles und den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der Zeit, hatten viele Soul-Stars damals keine Lust mehr, schmachtende Liebeslieder für das weiße Vorstadt-Amerika zu singen. Es stand ihnen der Sinn nach künstlerisch Nachhaltigerem, nach Songs, die das, was auf den Straßen passierte, in Musik übersetzen.
Damals entstanden bis heute gültige Klassiker, die weit über das Genre hinauswiesen und in keiner Liste der besten Alben aller Zeiten fehlen dürfen. Wenn wir also über Werke wie „What’s Going On“, „Songs In The Key Of Life“, „Hot Buttered Soul“, „Spirit In The Dark“ oder „Superfly“ sprechen, über Künstlerinnen und Künstler wie Marvin Gaye, Stevie Wonder, Isaac Hayes, Aretha Franklin und Curtis Mayfield, stellt sich natürlich eine Frage: Wie findet man in einem so krass ausgeleuchteten und durchinterpretierten Raum die eigene Stimme, wie soll man diesem unfassbaren Kanon noch Relevantes hinzufügen? Im Angesicht solcher Ikonen kann man sich ja
durchaus sehr klein fühlen. Auch wenn man Joy Denalane heißt. „Ich hatte als Kind beinahe Angst vor dieser gewaltigen Stimme von Aretha Franklin“, sagt sie.
Eins ist aber auch klar: Wenn es überhaupt jemanden gibt, bei dem eine künstlerisch überzeugende Annäherung an diese überlebensgroßen Werke nicht von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist, dann ist es natürlich diese Frau. Zumal sie diese Musik und ihre Interpreten beinahe ihr gesamtes Leben lang studiert hat. „Mein Vater besaß Hunderte von Platten“, sagt Joy. „Unser Wohnzimmer wurde von seiner Sammlung dominiert.“
Sound war im Hause Denalane allgegenwärtig. Insbesondere die junge Joy verbrachte unzählige Stunden vor den väterlichen Plattenregalen und kannte die meisten Werke, auf die sie sich jetzt bezieht, noch bevor sie lesen oder schreiben konnte. Die Soul-, Jazz- und Funk-Platten des Vaters haben sie als Person geprägt und die musikalische Richtung definiert, in die sie sich als Künstlerin bewegen würde.
Man muss das alles unbedingt wissen, um die Bedeutung und die musikalische Kraft von „Let Yourself Be Loved“ ergründen zu können. Indem sie sich mit dieser Tiefe und Hingabe mit der Musik ihrer Kindheit beschäftigt, begibt sich Joy Denalane nicht nur auf eine Suche nach ihren musikalischen Wurzeln. Es geht hier nicht um Vintage-Simulationen alter Soul-Aufnahmen.
Sondern natürlich um: Identität. Musikalisch, politisch, persönlich. Der biografische Aspekt, der Wunsch nach Verortung zieht sich bereits durch das Werk dieser Frau.
Gleich mit ihrem ersten Album, dem mit Gold ausgezeichneten „Mamani“, machte Joy Denalane sich auf die Suche nach den südafrikanischen Wurzeln ihres Vaters, bereiste dessen Heimat und arbeitete mit lokalen Musikern zusammen. „Born & Raised“, mit dem sie Platz zwei der deutschen Charts erreichte, trug die Sehnsucht nach einer klaren Identität dann bereits im Titel und widmete sich vor allem ihrer großen R&B-Leidenschaft. Auf den Top-10-Alben „Maureen“ und „Gleisdreieck“ schließlich stellte Denalane sich ihrer Biografie und suchte die Orte ihrer Kindheit und Jugend musikalisch wieder auf.
Die Idee eines klassischen Soul-Albums als Kulminationspunkt dieser besonderen musikalischen Reise ist also im Grunde logisch und auch schon ein bisschen älter. Noch vor ihrem letzten Album, „Gleisdreieck“, hatte Joy Denalane sich an die Produktion begeben. Sie arbeitete damals mit Songschreibern und Produzenten im New Yorker Stadtteil Williamsburg und hat dort bereits die Demos produziert, die jetzt die Basis von „Let Yourself Be Loved“ bilden. Als es dann aber an die eigentliche Produktion gehen sollte, fühlte sich irgendwas nicht richtig an. „Wir bekamen den Sound einfach nicht hin, der mir vorschwebte“, sagt sie. „Wir waren gleichzeitig ganz nahe dran und meilenweit vom Ziel entfernt.“
Das war ungefähr 2015, und Joy ließ das Projekt nach dieser demotivierenden
Erfahrung erst mal liegen. Diese für sie so wichtige Platte wollte sie entweder richtig oder gar nicht machen. Sie schrieb und produzierte „Gleisdreieck“, das Leben ging weiter, die Jahre zogen ins Land. Irgendwann aber kamen diese Fragen aus ihrem Umfeld: „Was ist eigentlich mit diesen tollen Soul-Songs, die du damals gemacht hast?“ Also kramte Joy die Demos noch einmal hinaus und wollte es auf einen weiteren Versuch ankommen lassen.
Es gehört zu den großen Wahrheiten des Lebens, dass die beste Lösung oft sehr viel näher ist, als man die ganze Zeit über gedacht hat. Joy Denalane hatte sich auf der Suche nach geeigneten Produzenten für „Let Yourself Be Loved“ das Hirn zermartert – und dabei nicht einmal an ihren alten Freund und musikalischen Partner Roberto Di Gioia gedacht. Mit dem Pianisten und Produzenten hatte sie bereits seit Jahren immer wieder in verschiedenen Zusammenhängen gearbeitet, nun erwies er sich auch hier als eine sehr gute Wahl. Hierzu muss man wissen, dass Di Gioia einer der profiliertesten Jazz-Pianisten der Welt ist, der bereits mit Anfang 20 mit Leuten wie Johnny Griffin, Art Farmer und Woody Shaw gespielt hatte. Mit amerikanischen Jazz-Musikern also, die der gleichen Generation entstammen wie die Musiker der Motown-Hausband The Funk Brothers, denen die klassischen Aufnahmen des Labels ihren Sound verdanken und die ebenfalls ausnahmslos aus dem Jazz kamen.
Jedenfalls schickte Joy Denalane Di Gioia die alten Demos. „Eigentlich bat ich ihn nur, sich das mal anzuhören“, sagt Joy, „aber eine Woche später kamen bereits fünf Layouts, die mir die Sprache verschlagen haben.“ Hier war er nun endlich: Der Produzent, der Joy Denalanes musikalische Vision für „Let Yourself Be Loved“ verstanden hatte.
Bevor es allerdings soweit war, fuhr Di Gioia erst mal in die Schweiz, genauer gesagt nach Bern. Auf Ebay hatte er einen Fender Precision Bass von 1966 entdeckt, ein ähnliches Modell, wie es der Funk-Brothers-Bassist James Jamerson auf allen legendären Motown-Aufnahmen verwendet hatte, an denen er beteiligt war. „Ohne den Bass würde das Album nicht klingen, wie es klingt“, sagt der Produzent.
In einem Studio in München Unterföhring entwickelte sich daraufhin ein
Produktionsprozess, den Joy Denalane als einen der besten ihrer gesamten Karriere in Erinnerung hat. Im Wesentlichen orientierten sich Denalane, Di Gioia und der ebenfalls beteiligte Toningenieur Jan Krause bei Arrangements und Melodien an den ursprünglichen Kompositionen. Getrieben von Leidenschaft und der Liebe zum Soul ließen sie maximale Sorgfalt bei der Auswahl der Musiker und der Suche nach den richtigen Mikrofonen walten.
Das beste Beispiel für die Entwicklung, die die Songs während dieser Produktion nahmen, ist vielleicht „Be Here In The Morning“, ein Duett mit dem wunderbaren texanischen Soul-Sänger C.S. Armstrong. „Der Song ist eher zufällig an meinem letzten Tag in New York entstanden“, erzählt Joy. „Wir hatten nur noch wenige Stunden Zeit bis zu meinem Flug, also haben wir einen kleinen Reggae-Jam gemacht, mit dem eigentlich keine besonderen Ambitionen verbunden waren. Was Roberto nun aus diesem Song gemacht hat, konnte ich kaum fassen, als er es mir gezeigt hat.“
Auch das dramatische „Wounded Love“, das an Marvin Gaye erinnernde „The Ride“ oder der kämpferische Up-Tempo-Smasher „I Gotta Know“ sind Songs, in denen Joy Denalane sich derart komfortabel eingerichtet hat, dass man schon bald gar nicht mehr an die prominenten Vorbilder denkt. Und in „I Believe“, das Joy gemeinsam mit dem US-Motown-Künstler BJ The Chicago Kid singt, der unter anderem auch für Kendrick Lamar, Kanye West und Anderson Paak hinter dem Mikrophon stand, hört man den
James-Jamerson-Bass dann tatsächlich besonders gut.
„Ich habe diese Platte gemacht“, sagt Joy Denalane. „Es ging mir dabei um Sound und Gefühl, um eine Suche nach mir selbst: Wo komme ich her, was macht mich aus, wenn ich alles andere weglasse, was bleibt dann übrig?“ Vordergründig singt sie in den meisten Songs über die Liebe in sämtlichen Facetten: die Liebe zu Freunden, Kindern, natürlich auch romantische Liebe. Sie tut das allerdings auf ganz ähnliche Weise, wie auch früher im Soul universell verständliche Themen eine zusätzliche Bedeutungsebene und eine politische Aufladung erfuhren. Der Schmerz und die Dringlichkeit, die in diesem Love-Songs liegen, legten natürlich eine Fährte zur schwarzen Bürgerrechtsbewegung und das durch Rassismus und Marginalisierung
erlittene Leid.
Und dieses Leid ist leider international und nicht auf die vereinigten Staaten der Sechzigerjahre begrenzt. „Ich spüre meinen eigenen Schmerz, meine Wut, meine Verzweiflung und Verletzlichkeit sehr auf dieser Platte“, sagt Joy. „Diese Musik bringt diese Gefühle zum Vorschein und kanalisiert sie noch mehr als die Platten davor.“
Die Erfahrungen, die Joy Denalane als schwarze Frau in der Diaspora Deutschland gemacht hat, durchziehen „Let Yourself Be Loved“. In ihrer Kindheit und Jugend gab es nur sehr wenige Schwarze in diesem Land und schon gar keinen Sound, der ihre täglichen Rassismus- und Ausgrenzungs-erfahrungen thematisierte.
„All die Jahre bin ich gegen Mauern gerannt“, sagt Joy, „selbst im kosmopolitischen, aufgeklärten Berlin. Die Musik hat mir Kraft gegeben und zu einer Bewusstwerdung beigetragen. Als Kind ist das einfach nur ein komisches Gefühl, wenn man ausgegrenzt wird, das versteht man ja noch nicht. Unsere Mutter hat uns jeden Morgen perfekt frisiert. Die Prägung, die wir durch unsere Eltern bekommen haben, war: ‚Ihr müsst immer besser sein als die anderen, wenn ihr ein Defizit habt, müsst ihr es ausgleichen.‘ Inzwischen ist mir bewusst, was ich mit 20 oder 25 noch nicht wissen konnte: Man gewöhnt sich nie an diese Verletzungen und Zurückweisungen, es wird
einfach nicht besser. Die permanente Kategorisierung macht einen wahnsinnig und immer empfindlicher.“
Es macht die gebürtige Berlinerin, die Großkünstlerin Joy Denalane allerdings
keineswegs weniger kämpferisch: Manchmal geht es auch um die Abwesenheit von Liebe, wenn man über Liebe singt. Nicht nur deswegen ist „Let Yourself Be Loved“ die Essenz von Joy Denalane.